Wie das Dengue-Virus breitet sich das West-Nil-Virus (WNV) weiter aus.
Serologische Untersuchungen belegen die Verbreitung des WNV in Europa seit den 1950er Jahren. Der erste bekannte Ausbruch bei Menschen in Europa ereignete sich 1962–1963 in der Camargue in Südfrankreich. 1996 kam es in Europa zur ersten großen WNV-Infektionsepidemie, bei der in Rumänien etwa 400 Fälle festgestellt wurden. Seitdem wurden Fälle und Ausbrüche aus süd-, ost- und westeuropäischen Ländern gemeldet. Die Temperatur gilt als eine der wichtigen Umweltvariablen, die die WNV-Aktivität in Europa modulieren, da sie sowohl die Mückenbrut als auch die extrinsische Inkubation von WNV beeinflusst (die Zeitspanne zwischen der Aufnahme eines Krankheitserregers und der Möglichkeit, ihn weiterzugeben, wird bei Stechmücken und anderen Krankheitsvektoren als extrinsische Inkubation bezeichnet (3)). Überdurchschnittliche Sommertemperaturen gelten als einer der Faktoren, die die Ausbreitung in neue Gebiete und die Amplifikation direkt beeinflussen. Für Europa zeigte eine Studie, dass ausreichende Wasserflächen im Juni und Temperaturanomalien im Juli, das Vorhandensein von Feuchtgebieten und Standorten unter Zugvogelrouten sowie das Vorkommen von WNV in den Vorjahren mit Neuerkrankungen assoziiert sind. Vor dem Auftreten eines Virusstamms der Linie 2 in Ungarn im Jahr 2004 waren sporadische Fälle und gelegentliche Ausbrüche bei Tieren und Menschen in Europa auf Stämme der Linie 1 zurückzuführen. Seit 2008 hat sich der Virusstamm der Linie 2 in Mitteleuropa und dem östlichen Mittelmeerraum ausgebreitet. Dieser Stamm verursachte in mehreren Ländern, darunter Griechenland, Ungarn und Serbien, erhebliche Ausbrüche bei Menschen und Tieren. Ein weiteres Virus der Linie 2 trat 2007 in Südrussland auf und breitete sich ab 2010 nach Rumänien und Italien aus. In bestimmten Ländern (z. B. Italien, Rumänien und der Türkei) zirkulieren neurovirulente WNV-Stämme verschiedener genetischer Linien gleichzeitig. (1)
Weil die Menschen keine oder nur leichte Symptome zeigen, bleibt die Infektion oft unerkannt. Deshalb sind die nachfolgenden Zahlen nicht als real anzusehen, sie können in Wirklichkeit viel höher sein. Menschen mit Vorerkrankungen können jedoch nach dem Stich einer infizierten Mücke schwerwiegendere Erkrankungen haben, die zu Lähmungen, Koma und schließlich zum Tod führen können.
Europa, Rückblick auf die Jahre 2019-2024 (2)
Saison 2019:

Im Jahr 2019 sind Menschen an West-Nil-Fieber (WNF) in Frankreich, Deutschland, Italien, Österreich, Slowakei, Ungarn, Serbien, Rumänien, Bulgarien, Mazedonien, Griechenland, Zypern, Israel, Türkei, Ukraine und Russland erkrankt, wobei die meisten Fälle aus Griechenland und Russland gemeldet worden sind. In Deutschland beschränkten sich die Infektionen auf die östlichen Bundesländer. Der Virusnachweis bei Vögeln oder Pferden (ohne Erkrankungen von Menschen) wurde aus Portugal und Spanien berichtet. In dieser Saison wurden 649 Fälle mit 51 Todesfällen gemeldet, was einer Sterblichkeitsrate von 7,86 % entspricht. (2)
Klima/Wetter:
In Europa herrschte Ende Juni 2019 verbreitet Hitze. Die Temperaturen überstiegen mancherorts 40°C, mit einem neuen Allzeit-Rekordwert der Lufttemperatur in Frankreich (46,0°C) und Andorra. Gegen Ende Juli 2019 setzte eine zweite Hitzewelle ein. Dieses Ereignis brachte mit neuerlich Temperaturen über 40°C Allzeit-Rekorde für Deutschland, Luxemburg, die Niederlande, Belgien und das Vereinigte Königreich. Im frühen August herrschte eine Hitzewelle, die besonders Südeuropa betraf. Ende August 2019 setzte eine weitere Hitzewelle ein.
Insgesamt schloss der meteorologische Sommer (bestehend aus den Monaten Juni, Juli und August) 2019 als heißester je gemessene Sommer ab seit Messbeginn 1940. (3)
Saison 2020:

Im Jahr 2020 wurden WNF-Fälle aus Spanien, Deutschland, Italien, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und Griechenland gemeldet, wobei die meisten Fälle wieder aus Griechenland gemeldet worden sind. Neu hinzu kamen die Niederlande. Der Virusnachweis bei Vögeln oder Pferden (ohne Erkrankungen von Menschen) wurde aus Portugal, Frankreich und Israel berichtet. In dieser Saison wurden 332 Fälle mit 37 Todesfällen gemeldet, was einer Sterblichkeitsrate von 11,14 % entspricht. (2)
Klima/Wetter:
2020 stellte das bis dahin wärmste Jahr in Europa dar, da die Temperaturen die bisherigen Rekordwerte um fast ein halber Grad übertrafen. Auf dem gesamten Kontinent lagen die Durchschnittstemperaturen über dem Mittelwert von 1981-2010, wobei Teile Nord- und Osteuropas mehr als 2°C wärmer waren. In denselben Regionen übertrafen die täglichen Mindesttemperaturen den Durchschnitt, während in Frankreich und den Benelux-Ländern höhere Tageshöchsttemperaturen gemessen wurden. Die Niederschläge in ganz Europa wurden als „durchschnittlich“ bezeichnet. (4)
Saison 2021:

2021 wurden WNF-Fälle aus Spanien, Deutschland, Italien, Ungarn, Rumänien, Serbien, Griechenland und Russland gemeldet, wobei die meisten Fälle aus Griechenland und Italien gemeldet worden sind. Neu hinzu kamen die Niederlande. Der Virusnachweis bei Vögeln oder Pferden (ohne Erkrankungen von Menschen) wurde aus Portugal und Frankreich. Außerhalb von Europa meldeten Ägypten und Israel Virusnachweise. In dieser Saison wurden 166 Fälle mit 12 Todesfällen gemeldet, was einer Sterblichkeitsrate von 7,23 % entspricht. (2)
Klima/Wetter:
2021 war ein Jahr der Extreme, darunter der zum damaligen Zeitpunkt heißeste Sommer in Europa, Hitzewellen im Mittelmeerraum, Überschwemmungen und Windflauten in Westeuropa, was zeigt, dass das Verständnis von Wetter- und Klimaextremen für Kernbereiche der Gesellschaft immer wichtiger wird. In Teilen der Ostsee lag die jährliche Meeresoberflächentemperatur mehr als fünf Grad über dem Durchschnitt. Auf Sizilien wurde mit 48,8 Grad ein vorläufiger europäischer Hitzerekord gemessen. Weil die Hitzewelle in Teilen Italiens, Griechenlands und der Türkei zwei bis drei Wochen andauerte und zugleich Trockenheit herrschte, konnte es dort laut Klimawandeldienst zu den zahlreichen, verheerenden Waldbränden kommen. (5)
Saison 2022:

Klima/Wetter:
Der Sommer 2022 war erneut der heißeste in Europa seit Beginn der Aufzeichnungen 1881. Er war geprägt von mehreren sehr starken Hitzewellen und großer Trockenheit in vielen Regionen Europas. In zahlreichen Regionen wurden neue Hitzerekorde aufgestellt. Infolge der Hitze und Dürre kam es zu zahlreichen negativen Auswirkungen unter anderem auf die menschliche Gesundheit, Energieversorgung, Landwirtschaft und die Wasserversorgung von Kommunen. Eine 2023 publizierte Studie ermittelte in den 35 europäischen Staaten für den Zeitraum 30. Mai bis 4. September 2022 rund 61.700 hitzebedingte Todesfälle. Besonders betroffen waren Italien (ca. 18.000 Todesfälle), Spanien (ca. 13.400) und Deutschland (ca. 8.200). (³)
Saison 2023:

Im Jahr 2023 wurden WNF-Fälle aus Spanien, Frankreich, Deutschland, Tschechien, Italien, Ungarn, Rumänien, Serbien, Ungarn, Kroatien, Mazedonien, Griechenland, Zypern und Russland gemeldet, wobei die meisten Fälle erneut aus Italien gemeldet worden sind. Außerhalb von Europa meldeten Israel, Tunesien und Algerien Fälle bei Menschen. Der Virusnachweis bei Vögeln oder Pferden (ohne Erkrankungen von Menschen) wurde aus Portugal und Bulgarien berichtet. In dieser Saison wurden 968 Fälle mit 71 Todesfällen gemeldet, was einer Sterblichkeitsrate von 7,33 % entspricht. (2)
Klima/Wetter:
2023 war ein komplexes und vielschichtiges Jahr, was die Klimagefahren in Europa angeht. Wir wurden Zeuge von weitverbreiteten Überschwemmungen, aber auch von extremen Waldbränden mit hohen Temperaturen und schweren Dürren. Diese Ereignisse hatten nicht nur die natürlichen Ökosysteme belastet, sondern auch die Landwirtschaft, die Wasserwirtschaft und die öffentliche Gesundheit vor große Herausforderungen gestellt. (6)
Saison 2024:

2024 breitet sich das WNV weiter aus. In Europa stiegen die Fallzahlen fast überall an. Fälle wurden aus Spanien, Frankreich, Deutschland, Italien, Österreich, Tschechien, Ukraine, Kroatien, Ungarn, Rumänien, Serbien, Bulgarien, Türkei, Zypern und Russland. Die höchsten Fallzahlen meldeten wie in den vergangenen Jahren Italien und Griechenland. Neu hinzu kamen: Albanien, die Slowakei, Moldawien und der Kosovo. Außerhalb von Europa meldeten Israel, Jordanien und Armenien Fälle bei Menschen. Der Virusnachweis bei Vögeln oder Pferden (ohne Erkrankungen von Menschen) wurde aus Portugal, Polen, Lettland und Tunesien berichtet. In dieser Saison wurden 1.436 Fälle mit 125 Todesfällen gemeldet, was einer Sterblichkeitsrate von 8,70 % entspricht. (2)
Klima/Wetter:
2024 war ein heißes, nasses Jahr. In Westeuropa fiel mehr Regen als in den meisten anderen Jahren. Osteuropäische Länder litten zugleich unter extremer Trockenheit. Besonders stark von Hochwasser betroffen war laut dem Bericht die spanische Region Valencia. Weitere schwere Überschwemmungen gab es in Teilen Deutschlands, Polens, Österreichs, Ungarns, Tschechiens, der Slowakei, Rumäniens und Italiens. (³)
Wie beschrieben, war 2024 „ein heißes, nasses Jahr“, das die weitere Ausbreitung des WNV begünstigt hat. Die Frage stellt sich, wie wird es in 2025 weitergehen?
Der Sommer 2025 in Europa verspricht viel Dynamik, mit einem regnerischen Beginn und Hitzewellen. Die ersten saisonalen Modelle deuten auf einen Sommer 2025 mit einem instabilen Übergang im Frühjahr und einer Tendenz zu trockenen Bedingungen und überdurchschnittlichen Temperaturen in den mittleren Monaten hin. Die Vorhersage für den Übergang vom Frühling zum Sommer (April-Mai-Juni) deutet auf eine Tiefdruckanomalie über West- und Nordwesteuropa hin, die eine feuchtere Luftströmung aus dem Mittelmeerraum begünstigt und in weiten Teilen der Region zu hohen Niederschlagsmengen führen wird. In der Zwischenzeit könnte Südosteuropa aufgrund des Einflusses eines Hochdruckgebiets, das sich von Osteuropa her ausbreitet, trockenere Bedingungen erleben. Der Juni beginnt mit Instabilität, aber im Juli sind anhaltend hohe Temperaturen zu erwarten. Die spezifische Vorhersage für Juni deutet auf ein Tiefdruckgebiet über dem Nordatlantik hin, das sich bis nach Nordwesteuropa ausdehnt, während sich ein antizyklonaler Rücken über Mittel- und Osteuropa verstärken dürfte. Dieses atmosphärische Muster wird in den meisten europäischen Regionen zu überdurchschnittlichen Temperaturen führen, mit stärkeren Anomalien in der Mitte, im Südosten und im Norden des Kontinents. Das Tief über dem Nordatlantik könnte eine west-südwestliche Strömung begünstigen, die feuchtwarme Luft nach Mittel- und Westeuropa bringt und die Wahrscheinlichkeit lokaler Stürme erhöht. Was die Niederschläge anbelangt, so wird für Nord- und Nordwesteuropa ein feuchter Trend erwartet, während der Süden und Südosten einen trockeneren Start in den Sommer erleben dürften. Im Juli dürfte sich über Mittel- und Nordeuropa ein beständigeres antizyklonales Muster etablieren, das den Einfluss von Tiefdruckgebieten einschränkt und die Temperaturen erhöht. Die Vorhersage deutet auf einen starken Anstieg der Hitze hin, insbesondere in Frankreich, Deutschland, Spanien, Portugal und Italien, wo längere Hitzewellen wahrscheinlicher sind. Tiefdruckgebiete im Nordatlantik werden einige Gebiete des Vereinigten Königreichs und Skandinaviens relativ kühl halten. Im August wird sich das atmosphärische Blockademuster voraussichtlich über Mittel- und Nordeuropa verfestigen, was zu anhaltend hohen Temperaturen führen wird. Die am stärksten betroffenen Regionen werden Frankreich, Deutschland, die Benelux-Länder, Polen und Teile des Vereinigten Königreichs sein. (7)
Wir werden sehen, wie sich die Lage entwickelt.
Schauen wir noch kurz in die USA und nach Kanada, wo die WNF/WNV-Saison bereits begonnen hat.
Aktuelle WNF/WNV-Lage in den USA:
Die US CDC haben am 05.06.2025 erste offizielle Daten bezüglich des Auftretens des West-Nil-Fiebers (WNF) in den USA veröffentlich und damit den Start in die WNF-Saison 2025 eingeläutet. Infektionen bei Menschen wurden aus den Bundesstaaten (BS) Alabama (1), Georgia (1), Louisiana (2), Nebraska (1), Oklahoma (1), Tennessee (3) und Virginia (1) gemeldet. Von diesen 10 gemeldeten Fälle waren fünf neuroinvasive Fälle. Zwei Blutspender wurden positiv getestet. Aus den Bundesstaaten Kalifornien, Texas, Louisiana, Tennessee und Illinois werden WNV-positive Befunde bei Mücken gemeldet.
Aktuelle WNF/WNV-Lage in Kanada:
Am 13.06.2025 meldete die Provinz Ontario ihren ersten WNV-Nachweis bei einer Krähe.

Wagen wir noch einen Rückblick.
Die ersten Daten bezüglich des Auftretens des West-Nil-Fiebers (WNF) wurden in den USA im Jahr 1999 erfasst:


Bemerkenswert ist, dass seit dem Jahr 2008 die Fallzahlen bei den „neuroinvasiven-Fällen“ höher sind als bei den „nicht neuroinvasiven Fällen“. (Seit dem Jahr 2023 melden die US-CDC jedoch keine Todesfälle mehr, was nicht heißen soll, dass es sie nicht gibt)
Da sich die USA am Anfang der WNF-Saison befinden, werfen wir einen Blick auf die letzte Karte der Saison 2024 und wir werden sehen, dass sich auch in der Saison 2025 noch einiges bewegen kann. Auch ist zu sehen, dass 2024 in Kanada auch Fälle registriert worden sind, die Fallzahlen sind dort aber weitaus geringer als in den USA.

Heinz Dewald
Quellenverzeichnis:
1 https://www.ecdc.europa.eu/en/west-nile-fever/facts
2 eigene Datenermittlungen
³ Wikipedia
5 https://www.wetter.at/wetter/sommer-2021-war-der-heisseste-in-europa/517267713
6 https://www.dw.com/de/copernicus-bericht-2023-jahr-der-klima-extreme-in-europa/a-68860598